ERNÄHRUNGSSICHERUNG MIT INNOVATION UND FORSCHUNG VORANTREIBEN
Experten diskutierten zukunftsfähige Strategien im Rahmen von "Klartext kompakt"
"Welternährung auf der Kippe?" war das Thema der "Klartext kompakt"-Veranstaltung der Landwirtschaftskammer (LK) Österreich, bei der Experten Strategien für die Ernährung einer wachsenden Weltbevölkerung, die bis zum Jahr 2050 laut Prognosen neun Milliarden Menschen erreichen soll, sowie Konsequenzen für die Agrarwirtschaft diskutiert haben. Die Landwirtschaft ist verantwortlich, die lokale Bevölkerung mit Lebensmitteln zu versorgen und macht das bereits auf hohem technischen Niveau, wenngleich Produktionsfortschritte durch den Klimawandel beschränkt und etwa durchschnittliche Ertragsniveaus in einzelnen Jahren deutlich unterschritten werden.
Es braucht Innovation, Forschung und effiziente, ressourcenschonende Produktion, damit die Landwirtschaft auch in Zukunft ihren Beitrag zur Ernährung der Menschheit leisten kann", erklärte Ferdinand Lembacher, Generalssekretär der Landwirtschaftskammer Österreich. Mehr Leistung mit deutlich weniger finanziellen Mitteln für eine gleichbleibende Produktion sei allerdings unrealistisch, weil es für die Landwirte nicht finanzierbar sei, ergänzte Lembacher mit Blick auf die kommenden Verhandlungen zum mehrjährigen EU-Finanzrahmen.
Laut WIFO-Experten Franz Sinabell nimmt das Bevölkerungswachstum aktuell nicht mehr in dem Maß zu als in der Vergangenheit. "Das bringt eine gewisse Entspannung, allerdings lässt der Anspruch, weiterhin wertvolle Lebensmittel zu produzieren, nicht nach. Es werden deshalb weitere Anforderungen wie die Versorgung mit hochwertigem tierischem Eiweiß und zusätzliche Ansprüche an die Attribute von Lebensmitteln wie Bio und umweltschonend gestellt.
Einer wachsenden Bevölkerung stehen nicht mehr Ackerflächen zur Verfügung, weshalb engeren Kapazitäten nur mit einer zunehmendem Produktivität begegnet werden kann", so Sinabell. "Die Transformation zu einer nachhaltigen Wirtschaft, in der fossile Rohstoffe durch biogene Ressourcen und erneuerbare Energieträger ersetzt werden, ist nur mit einer leistungsfähigen und innovativen Land- und Forstwirtschaft möglich. Dabei ist das vorrangige Ziel, möglichst viel CO2 aus der Atmosphäre zu entziehen und nach Möglichkeit in dauerhaften Produkten zu binden, ohne die wichtigste Ressource, den Boden, zu schädigen oder die Umwelt zu belasten", erklärte der Experte. Keine Technologie werde in den nächsten 100 Jahren die Landwirtschaft ersetzen. "Wir müssen uns in Zukunft aber noch mehr mit nachhaltiger Intensivierung beschäftigen, weil die Ressourcen begrenzt sind. Zusätzliches Kapital für die landwirtschaftlichen Betriebe kann aber nur aus höheren Erlösen kommen und nicht von der öffentlichen Hand", führte Sinabell aus.
Nemestothy: Führen Diskussion im Luxusmodus
Kasimir Nemestothy, Referatsleiter für Energie in der LK Österreich, nennt als Haupttreiber der Klimakrise die Verbrennung fossiler Energieträger. Die von der neuen Bundesregierung angestrebte Klimaneutralität ab 2040 wird laut dem Experten nur funktionieren, wenn alle Formen heimischer erneuerbarer Energieträger optimal weiterentwickelt werden. "Dazu zählt auch die Wasserkraft", so Nemestothy. Zusätzlich müsse man über weitere Entwicklungsmöglichkeiten im biogenen Bereich sprechen.
"Sich als Europäer im Sentiment des Kolonialismus vorzustellen, dass globale Stoffströme weiterhin nach Europa fließen, wie wir es gewohnt waren, ist überheblich. Denn in der Diskussion um Zukunftsfragen bewegen wir uns in der entwickelten Welt im Luxusmodus und nicht im Überlebensmodus. Wir müssen uns überlegen, wie wir mit Situationen im Luxusmodus umgehen, wenn es darum geht zu emotionalisieren. Die Frage ist, ob es etwa mit dem Landverbrauch in der EU beziehungsweise weltweit auch in Zukunft so weitergeht oder wie sich das Wechselspiel der globalen Über- und Unterversorgung weiterentwickelt. Zu Letzterem zählen etwa nicht nur der Boden und der Zugang zu diesem, sondern auch, wie beispielsweise die Verschwendung von Lebensmitteln eingeschränkt werden kann. Allgemein darf man die produzierende Landwirtschaft nicht unterschätzen, wir werden in unseren Lebensräumen auch weiterhin eine produktive Landwirtschaft brauchen, die unter den gegebenen Nachhaltigkeitskriterien auf den Märkten besteht", verdeutlichte der Experte.
Stefan-Friedl: Verteilungsgerechtigkeit ist das Um und Auf
Für Journalistin und Texterin Michaela Stefan-Friedl ist Verteilungsgerechtigkeit in der Ernährung der Weltbevölkerung das Um und Auf. "Hier ist die Politik gefordert, unsere Ressourcen ordentlich zu nützen", so Stefan-Friedl und nennt eine Senkung der Geburtenrate, vor allem in den Hotspots wie südliches Afrika, Lateinamerika, Sub-Sahara und in Teilen Asiens, sowie verbesserte Bildungschancen für Frauen als wesentliche Elemente. Laut Experten sei eine durchschnittliche Geburtenrate von 2,1 Kindern pro Frau für die globale Welt gut auszuhalten. Besonders kritisch sieht Stefan-Friedl allerdings eine von der Politik vorgegebenen Familienplanung, wie es etwa in China mit der Ein-Kind-Politik der Fall war. "Das ist ein absolutes No-Go", so die Journalistin.
Berhard Heinzlmaier: Katastrophendiskurs sehr abstrakt
Bernhard Heinzlmaier, Leiter des Marktforschungsunternehmen T-Factory Trendagentur in Hamburg und Vorsitzender des Instituts für Jugendkulturforschung, hält den Katastrophendiskurs für sehr abstrakt. "Die meisten Menschen in den entwickelten Ländern haben wenig Probleme mit dem Klimawandel. Für viele ist es etwa angenehm, wenn es im Winter nicht extrem kalt ist. Im Prinzip sind wir eine Versammlung von privilegierten Menschen, die alle nicht wirkliche Probleme haben, gut qualifiziert und selbstbewusst sind.
Deshalb ist die junge Umweltbewegung Fridays for Future eine Protestbewegung der Oberschicht, die ihre moralische Pubertätskrise inszenieren. Junge Menschen zwischen 16 und 25 Jahren, denen es nicht so gut geht und die keinen guten Zugang zu Bildung haben, denken nicht an Fridays for Future", fand Heinzlmaier klare Worte.
Hochkomplexe Thematiken würden immer von Eliten diskutiert und entschieden. "Klimaerwärmung emotionalisiert, weil die Debatten darüber das Rationale abkoppeln und total hysterisch geführt werden. Wenn man sich nicht um eigene Unterschichten kümmert, wird die Welt nicht nur sozial auseinanderbrechen, sondern auch kulturell und diskursiv. Wenn wir es nicht schaffen, weniger moralisch erhebend und weniger katastrophisch zu diskutieren, und wenn uns nicht gelingt, wieder Entspannung in die Diskussion hineinzubringen, werden wir alle nichts davon haben", meinte Heinzlmaier.
(Quelle: Autor: Dr. Karin Huber/AIZ)
Credits: Landwirtschaftskammer Österreich/APA-Fotoservice/Tesarek Fotograf/in: Heinz Stephan Tesarek
Es informierten:
- Prof. Mag. Bernhard Heinzlmaier, Leitung Marktforschungsunternehmen tfactory Trendagentur in Hamburg, Vorsitzender des Instituts für Jugendkulturforschung
- Priv. Doz. Dipl.-Ing. Dr. Franz Sinabell, WIFO - Österreichisches Institut für Wirtschaftsforschung
- Dr. Michaela Stefan-Friedl, freie Journalistin und Texterin
- DI Kasimir Nemestothy, Referatsleiter Energie, Landwirtschaftskammer Österreich
- DI Ferdinand Lembacher, Generalsekretär Landwirtschaftskammer Österreich
Moderation:
Prof. Claus Reitan, Journalist, Zert. Nachhaltigkeit u. Journalismus, ECQA Certified Applied Sustainability & CSR Professional, Redaktionsbüro Huber & Reitan
Datum: Montag, 10. Februar 2020
Ort: Landwirtschaftskammer Österreich, Schauflergasse 6, 1015 Wien
Zitate
"Unsere Jugend fühlt sich heute mehr denn je für "die Welt" verantwortlich. Wir sehen schon bei Kindern im Volksschulalter ein ausgeprägtes moralisches Bewusstsein."
"Wer also die offizielle katholische Linie in Sachen Empfängnisverhütung als einen maßgeblichen Grund für die Überbevölkerung, den Hunger und die Umweltbelastung sieht, muss gleichzeitig das enorme, über Jahrhunderte gehende Engagement eben dieser Kirche gegen Hunger, Armut und für Verteilungsgerechtigkeit und Bildung anerkennen."