GAP braucht Lenkinstrumente für „Zuviel“ und „Zuwenig“
Klimaveränderung macht Ernährung unsicherer – GAP muss Sicherheit schaffen
Die kommende Periode der EU-Agrarpolitik dauert bis 2027. Bis dahin wird die Klimaveränderung bereits schmerzhafte Folgen haben, nicht zuletzt auch für die sichere Versorgung mit Lebensmitteln. Einer Periode von vier globalen Rekordernten in Serie wie jetzt können rasch Missernten folgen. Dennoch muss die Ernährung der Menschen sichergestellt bleiben. Daher braucht eine neue EU-Agrarpolitik Lenkinstrumente, die bei einem zu viel an Produktion ebenso greifen, wie bei einem zu wenig. Hier auf die ‚unsichtbaren Kräfte des Marktes’ zu vertrauen, wäre verantwortungslos: Missernten führen zu rasant steigenden Lebensmittelpreisen und in vielen Gegenden der Welt zu Hunger und politischen Unruhen, Rekordernten zu Preisabstürzen und zum Verlust der wirtschaftlichen Grundlage für bäuerliche Betriebe. Beides wäre katastrophal. Daher werden neue, flexible GAP-Instrumente von LK Österreich-Präsident Hermann Schultes gefordert. Eingebettet sind diese flexiblen Instrumente in eine stabile GAP mit weiterhin zwei Säulen, die auch in Zukunft die Grundlage der europäischen Land- und Ernährungswirtschaft bilden muss.
Angebot- und Nachfrageseitige Instrumente
Um wirksam, flexibel und gleichzeitig marktsensibel lenken zu können, müssen solche Instrumente sowohl angebots- als auch nachfrageseitig eingesetzt werden. Auf der Angebotsseite werden bessere Instrumente gebraucht, die die gegenseitigen Verbindlichkeiten in der Versorgungskette stärken: Landwirte und Verarbeiter vereinbaren mittels Lieferverträgen und -verbindungen fixe Produktionsziele. Damit verhindern sie Überproduktion mit all ihren negativen Auswirkungen. Auf der Nachfrageseite kann dort gelenkt werden, wo Agrarerzeugnisse zu technischen Produkten, Futtermitteln oder Nahrungsmitteln verarbeitet werden. Im Falle eines knapperen Angebots werden bestimmte Verwendungen reduziert, fallen größere Mengen an, eröffnet man zusätzliche Verwertungsmöglichkeiten. Konkret geht es dabei um die Verwendung agrarischer Rohstoffe für Bioökonomie und Bioenergie.
Appell an Europäische Kommission: „Winterpaket“ kontraproduktiv
„Absoluten Vorrang hat die menschliche Ernährung. Danach folgt der Bereich Fütterung und schließlich die technische Verwertung von agrarischen Produkten. Damit das auch in Zukunft so bleibt, muss die GAP flexible Instrumente bieten: Wächst weniger, reduziert man die technische Verwertung, sind die Mengen größer, baut man diese aus. Das hat, vor allem bei Biotreibstoffen, noch einen weiteren Aspekt: Damit wird das Treibhausgas CO2 reduziert und der Klimawandel wirksam bekämpft. Das Ende des Vorjahres von der Europäischen Kommission vorgestellte Winterpaket ist hier jedoch kontraproduktiv. Denn dieses will Biotreibstoffe, die nachweislich dem Klima helfen, zurückfahren. Damit schadet die Kommission nicht nur dem Klima selbst, es schließt auch ein Tor in der GAP, das die klimafreundliche Verwertung größerer Erntemengen erst möglich macht. Hier appelliere ich an ein rasches Umdenken der Europäischen Kommission“, so LKO Präsident Schultes.
Beispiele: Milch, Zucker
Zwei Beispiele zeigen, wie klug eingesetzte Lenkinstrumente wirken: So sah man bei der Milchlieferrücknahme-Aktion, dass letztlich nicht nur die erreichte Menge, sondern auch das international wahrnehmbare Signal an den Markt für Marktberuhigung und Preisstabilisierung gesorgt hat. Dieses erfolgreich eingesetzte Instrument soll in einer künftigen GAP fix eingebaut werden. Das zweite Beispiel geben die Rübenbauern: Diese haben sich gegenüber den Verarbeitern verpflichtet, eine bestimmte Menge zu erzeugen, um Angebot und Nachfrage in der Waage zu halten. Das Endprodukt Zucker kann darüber hinaus gelagert werden und wirkt auf diese Weise ebenfalls markt- und preiswirksam. Österreich braucht solche Steuerräder, um im Fall des Falles, also bei Übermengen oder Unterversorgung in allen Produktionssparten, wirkungsvoll eingreifen zu können.
Produktionsrahmen und Nachhaltigkeit
Ein neues Lenkrad für die GAP wirkt nicht nur auf die produzierten bzw. verarbeiteten Mengen, es hat auch einen nachhaltigen Aspekt, der die Grundabsicherung der Gesellschaft mit Nahrungsmitteln betrifft. Denn ohne eine ausreichende Anzahl von Produzenten, also Bäuerinnen und Bauern, lässt sich diese Absicherung nicht mehr garantieren.
Drei Aspekte, die eine neue EU-Agrarpolitik berücksichtigen muss: Die Landwirtschaft erbringt unverzichtbare Leistungen, die der Markt nicht honoriert. Diese Leistungen für die Gesellschaft gibt es nur, wenn sie gesondert abgegolten werden. Das sind beispielsweise der Erhalt von Bergwiesen, die Sicherung exponierter Lebensräume der Erhalt der Biodiversität und die Verstärkung von Erosionsschutz und Wasserspeicherung. Zum anderen gilt es, die Risikoversicherung als Hilfe zur Selbsthilfe weiter auszubauen, um Antworten auf zunehmende Klimakatastrophen geben zu können. Und schließlich wird nach einer Stabilisierung der traditionell strukturierten bäuerlichen Höfe in schwierig zu bewirtschaftenden Regionen verlangt. Direktzahlungen und besonders ausgewiesene Angebote am Markt, wie Bergerzeugnis oder Heumilch, müssen ein Überleben möglich machen. Denn die Gesellschaft braucht jene vielfältigen Wirkungen, die weit über die Land- und Forstwirtschaft hinausreichen und der gesamten Gesellschaft Nutzen bringen.
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Es informierten
- MEP Elisabeth Köstinger, Abgeordnete zum Europaparlament
- Univ.Prof. Dr. Jochen Kantelhardt, Leiter Institut für Agrar- und Forstökonomie BOKU
- Hermann Schultes, Präsident Landwirtschaftskammer Österreich
Moderation
DI Adolf Marksteiner, Landwirtschaftskammer Österreich
Datum: Montag, 16. Jänner 2017
Ort: Landwirtschaftskammer Österreich, Wien
Zitate
"Die geänderten Rahmenbedingungen in der Landwirtschaft ermöglichen umfangreichere und neue Möglichkeiten der landwirtschaftlichen Produktion."
"Absoluten Vorrang hat die menschliche Ernährung. Danach folgt der Bereich Fütterung und schließlich die technische Verwertung von agrarischen Produkten."
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Weiterführende Links
- Institut für Agrar- und Forstökonomie BOKU
- Was ist eigentlich die EU-Agrarpolitik? (Video, Quelle: Deutsches Bundesministerium für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz)
- EU-Agrarpolitik neu: Viel nachhaltiger als unser Konsumverhalten (Quelle: Land schafft Leben)
- LKÖ: EU-Agrarrat: Hogan drückt bei den GAP-Reformverhandlungen aufs Tempo
- Gemeinsame Agrarpolitik (Bundesministerium für Nachhaltigkeit und Tourismus)
- Politische Einigung über die GAP bis 2020 (Bundesministerium für Nachhaltigkeit und Tourismus)
- Global 2000: Die gemeinsame Agrarpolitik (GAP) der EU